Ungleichbehandlung von Abgeordneten

An die Konferenz der Präsidenten

Brüssel, 01.10.2025

Redezeitverteilung für fraktionslose Mitglieder

Sehr geehrte Präsidentin Metsola,
sehr geehrte Mitglieder der Konferenz der Präsidenten,

nach dem Misstrauensantrag im Juli gegen Präsidentin von der Leyen war nur eine Redezeit für die Fraktionen vorgesehen, um ihre Standpunkte zu diesem Thema darzulegen. Nun wurde mir zugetragen, dass auch nach der Einreichung von zwei weiteren Misstrauensanträgen das Format der „Debatte“ unverändert bleiben soll, indem die Redezeit weiterhin ausschließlich den Mitgliedern der Fraktionen vorbehalten wird.

Ich möchte an dieser Stelle mit Nachdruck betonen: Dies ist nicht der Weg, wie eine parlamentarische Demokratie funktionieren sollte- und erst recht nicht der Weg, wie dieses Haus arbeiten sollte. Wahrer Pluralismus bedeutet, ein breites und vielfältiges Spektrum an Stimmen zuzulassen, die die Bürgerinnen und Bürger Europas vertreten.

Wir Abgeordnete sind die Stimme der Wähler, die uns hierhergebracht haben. Uns das Recht zu verweigern, unsere Meinung zu äußern, bedeutet, die Stimmen jener Bürger zu missachten, die uns ihr Vertrauen geschenkt haben. Darüber hinaus stellt die Benachteiligung jener, die bewusst unabhängig von den Zwängen politischer Gruppierungen agieren, eine Entwertung unserer parlamentarischen Verfahren dar und erweckt den Eindruck, dass abweichende Meinungen zum Schweigen gebracht werden sollen.

Es gibt derzeit 30 Abgeordnete, die als fraktionslose Mitglieder im Parlament sitzen, von denen die Mehrheit die Misstrauensanträge unterzeichnet hat. Ohne ihre Unterstützung wären diese Anträge wahrscheinlich nicht einmal eingereicht worden. Wenigstens diesen Abgeordneten sollte eine gleichwertige Gelegenheit eingeräumt werden, im Plenum zu sprechen und die Kommission zur Rechenschaft zu ziehen. Ein Misstrauensantrag ist ein seltenes und ernstzunehmendes parlamentarisches Instrument. Gerade aufgrund seiner Bedeutung sollten alle Abgeordneten die Möglichkeit haben, sich vollständig an wichtigen Debatten wie dieser zu beteiligen.

Die Begrenzung der Diskussion auf Vertreter politischer Gruppen entspricht keinesfalls den Erwartungen der Bürger Europas. Daher ersuche ich Sie respektvoll, den Abgeordneten, die unabhängig von politischen Gruppen sitzen, in solchen Fällen ebenfalls Redezeit zu gewähren.

Dies würde nicht nur eine echte demokratische Debatte ermöglichen, sondern auch ein positives Beispiel für das Funktionieren dieses Hauses setzen.

Ich hoffe sehr, dass Sie meinem Anliegen wohlwollend begegnen und einen Beitrag dazu leisten, die Debattenkultur in unserem Parlament weiter zu verbessern.

Mit freundlichen Grüßen,
MdEP Dr. Friedrich PÜRNER