Demokratie gilt als die Krönung politischer Ordnung – ein System, in dem die Macht vom Volk ausgeht und es durch die Wahl seiner Vertreter über die Zukunft des Landes entscheidet. Der Begriff – aus „demos“ (Volk) und „kratein“ (herrschen) – verspricht eine Herrschaft DURCH das Volk und nicht ÜBER es. Doch wie jede große Idee trägt auch die Demokratie den inneren Konflikt zwischen Ideal und Wirklichkeit. Die Kernfrage bleibt: Welche Pflichten haben Politiker und Parteien, um dieses Ideal zu schützen?
Das Volk als Souverän
Jean-Jacques Rousseau setzte im „Gesellschaftsvertrag“ auf den „allgemeinen Willen“: Das Volk ist der Souverän, dessen kollektiver Wille jede Regierung legitimiert. In Deutschland steht dies im Grundgesetz, Artikel 20: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“. Doch dieser Grundsatz wankt. Der 20. Bundestag wurde im Dezember 2024 aufgelöst und der Souverän hat mit der Wahl am 23. Februar 2025 ein deutliches Zeichen gegen die bestehenden Mehrheitsverhältnisse gesetzt. Dennoch sollen in einer Sondersitzung weitreichende Beschlüsse bezüglich einer Grundgesetzänderung und eines 500-Milliarden-Euro-Sondervermögens gefasst werden. Dies, obwohl der 21. Bundestag – gewählt und zum 25. März 2025 startklar – neue Mehrheiten verkörpert. Kritiker sprechen von einer Missachtung des Volkswillens – abgewählte Abgeordnete entscheiden über die Zukunft, ohne die neuen Vertreter einzubeziehen.
John Locke sah die Zustimmung der Regierten als Kern legitimer Macht. In Deutschland sichern Wahlen und Föderalismus dies ab. Doch wenn Union, SPD und Grüne noch vor der Konstituierung des neuen Parlaments milliardenschwere Schulden und Verfassungsänderungen durchpeitschen, wirkt das wie ein Umgehungsmanöver. Der Vorwurf: Politiker missbrauchen ihre Rolle als Treuhänder des Volkes und greifen dem neuen Bundestag vor. Und dies nur, weil die durch den Souverän bestimmten neuen Mehrheitsverhältnisse solche Beschlüsse erheblich erschweren bzw. unmöglich machen.
Transparenz und Verantwortlichkeit
Transparenz ist ein demokratisches Herzstück und in Deutschland durch Gesetze wie das Informationsfreiheitsgesetz gestützt. Doch Hannah Arendts Forderung nach öffentlichem Handeln gerät ins Wanken und wird ausgehöhlt, wenn ein alter und aufgelöster Bundestag solche Entscheidungen in der Übergangszeit nach der Wahl trifft. Eine Bundestagswahl, die bereits gezeigt hat, von welchen Politikern die Legitimation in Kürze endet und dass die aktuellen Mehrheitsverhältnisse sich verändern sollen. Die Debatte um das Sondervermögen und die gelockerte Schuldenbremse ist explosiv. Befürworter wie Friedrich Merz nennen Sicherheitslage und Infrastruktur als Gründe. Kritiker aus den Reihen der AfD und des BSW sprechen von „Wahlbetrug“. Merz, im Wahlkampf noch Schuldenbremsen-Verteidiger, drängt nun mit SPD und Grünen auf ein Finanzpaket, das die Schuldenregel des Grundgesetzes umgeht. Ein Schwenk, der vor der Wahl nicht ankam. „Vor der Wahl A; nach der Wahl B“, heißt es bitter in der Gesellschaft. Vertrauen schwindet, die Frage bleibt: Warum noch wählen?
Die Verantwortlichkeit leidet ebenfalls. Der alte Bundestag nutzt Artikel 39 des Grundgesetzes, um Entscheidungen zu fällen, die dem neuen Parlament zustehen und es binden. Die FDP warnt vor einem „Dammbruch“ für kommende Generationen. Linke und BSW nennen es „zutiefst undemokratisch“. Dass der neue Bundestag – etwa mit einer Sperrminorität von AfD und Linken – dies stoppen könnte, nährt den Verdacht, dass demokratische Prozesse bewusst umgangen werden.
Zwischen Eigeninteresse und Gemeinwohl
Der Zwiespalt zwischen Eigeninteresse und Gemeinwohl zeigt sich hier grell. Machiavellis Pragmatismus leuchtet durch, wenn die CDU unter Merz Wahlversprechen opfert, um Macht zu sichern. Jedes Mittel ist nach Machiavellis politischer Theorie zu Machterhaltung erlaubt – Recht und Moral ist nebensächlich. „Whatever it takes“, wie Friedrich Merz hiermit im Einklang zu sagen pflegt. Macht, Mandat und Moneten erodieren das Vertrauen in die Politik. Die Grundgesetzänderung, die Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ausnimmt, wirkt wie ein Plan, die Macht von Union und SPD zu zementieren – auf Kosten der Wähler. Kant’sche Ethik, die das Gemeinwohl über Eigeninteressen stellt, sucht man vergeblich. Kritiker sehen in Merz’ „Schulden-Putsch“ weniger das Wohl aller als einen Deal für seine Kanzlerschaft – erkauft mit Stimmen abgewählter Parteien bzw. Politiker. Die Dreifaltigkeit von Macht, Mandat und Moneten scheint stärker als das Gewissen zu sein.
Die Rolle der Tugend
Aristoteles forderte Tugend von Führenden. In Deutschland steht die Tugend auf dem Prüfstand. Merz’ Wandel vom Schuldenbremsen-Hüter zum Schuldenpaket-Architekten schürt „Wahlbetrug“-Vorwürfe. Die AfD nennt ihn „Totengräber der Schuldenbremse“, die FDP spricht von „Wortbruch“. In Zeiten wachsenden Populismus wird Ehrlichkeit zentral – doch die Spannung im Bundestag zeigt, wie sehr Ehrlichkeit unter Kalkül leidet.
Politische Balance in Deutschland?
Demokratie lebt, doch in Deutschland droht sie zu reißen. Ein abgewählter 20. Bundestag, der Grundgesetzänderungen und Rekordschulden beschließt, ohne den neuen 21. Bundestag einzubinden, wird als Angriff auf die Volkssouveränität gewertet. Merz’ Kurswechsel nach der Wahl heizt die Krise an. Politiker müssen Transparenz, Verantwortung und Gemeinwohl über Eigeninteressen stellen. Rousseaus allgemeiner Wille braucht aktiven Volkswillen – doch wenn Machtspiele dominieren, gerät dieses Ideal in Gefahr. Nur Respekt vor dem Wähler hält die deutsche Demokratie lebendig.
Wie es ausgeht? Abwarten.